Folge 84: Was tut ihr für politisch Verfolgte, Martina Bäurle? 29. January 2025
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Shownotes
https://friedrichsflaschenpost.podigee.io/85-folge-84-was-tut-ihr-fur-politisch-verfolgte-martina-baurle
Diese Folge von Friedrichs Flaschenpost widmet sich der Arbeit der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, die Kämpfer*innen für Menschenrechte weltweit unterstützt. Wir kooperieren schon seit einigen Jahren mit der Stiftung und bieten ihren Gästen die Möglichkeit, über ihre Themen zu sprechen und über die Lage in ihren Ländern zu berichten.
Im Gespräch mit der Geschäftsführerin Martina Bäurle erfahren wir im Podcast, wie die Stiftung arbeitet. Es geht darum, warum diese Arbeit wichtig ist, aber auch um das, was sie erschwert. Martina Bäurle erzählt uns spannende Geschichten über die Stipendiatinnen und was für viele von ihnen das Leben in Hamburg, in Freiheit ausmacht. Das Stipendium ist ein „Auszeit“-Stipendium und die Menschenrechtlerinnen gehen danach in der Regel zurück in ihre Heimat, um weiter für Demokratie, für Meinungs- und Pressefreiheit einzutreten.
Auch davon berichtet Martina Bäurle und wie es mit einigen der Stipendiat*innen weitergeht. In der Folge erzählt sie zudem, wie sie zu ihrer Position kam und was für sie das Schönste an ihrem Job als „Chancengeberin“ ist. Zur Seite der Stiftung geht es hier: https://www.hamburger-stiftung.de/
Transkript anzeigen
00:00:01: Friedrichs Flaschenpost, der Politik-Podcast aus Norddeutschland von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
00:00:07: Herzlich willkommen zu Friedrichs Flaschenpost, dem Politik-Podcast aus Norddeutschland
00:00:11: von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
00:00:13: Danke für dein Ohr, sagt am Mikrofon Christine Strotmann, heute aus Hamburg.
00:00:18: Heute haben wir uns ein großes Thema vorgenommen, und zwar sprechen wir über Menschenrechte.
00:00:24: Weltweit stehen diese unter Druck genauso wie die Meinungsfreiheit,
00:00:28: die Demokratie so überhaupt vorhanden.
00:00:31: Und immer wieder gibt es einige wenige, die aufbegehren gegen Verfolgung und
00:00:35: Unterdrückung und diese Menschen sollten wir stärken. Nur wie?
00:00:39: Heute spreche ich mit einer Expertin dazu, Martina Bäurle, Geschäftsführerin
00:00:43: der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Herzlich willkommen, liebe Martina.
00:00:48: Dankeschön, herzlich willkommen. Wie schön, dass du dir die Zeit nimmst.
00:00:51: Heute bist du einmal der Gesprächsgast, dabei sorgst du ja eigentlich dafür,
00:00:55: dass andere eine Bühne bekommen, im Mittelpunkt stehen und vor allem gehört werden.
00:01:00: Martina, ich stelle dich kurz noch ein bisschen ausführlicher vor für unsere Hörerinnen und Hörer.
00:01:05: Du bist in Flensburg geboren, hast hier in Hamburg studiert,
00:01:08: du bist Philologin und du warst danach beruflich in sehr vielen internationalen Kontexten aktiv.
00:01:13: So warst du unter anderem bis Anfang der Nullerjahre wissenschaftliche Mitarbeiterin
00:01:19: für Öffentlichkeitsarbeit der Ausländerbeauftragten des Hamburger Senats.
00:01:24: Und schon seit 1991 bist du Geschäftsführerin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.
00:01:31: Darüber wollen wir heute vor allem sprechen und ich freue mich auf deinen Input
00:01:34: und unser spannendes Gespräch mit einem spannenden Gast.
00:01:37: Martina, wir, die Friedrich-Ebert-Stiftung und ihr, wir kooperieren ja nun schon
00:01:41: auch seit 2018 und stellen jährlich einen eurer Gäste und deren Arbeit in einer Veranstaltung vor.
00:01:47: Was ist aus deiner Sicht das Ziel der Veranstaltung? Dass ein Stiftungsgast
00:01:52: vorgestellt wird, der über sein Land sprechen kann, über seine Erfahrung,
00:01:56: was ihm passiert ist und...
00:01:58: Ich finde, es ist eine wunderbare Kooperation mit sehr hochkarätigen zweiten Gesprächspartnern.
00:02:05: Das Publikum hat im Anschluss die Möglichkeit zu fragen.
00:02:09: Und so entsteht so eine ganz runde Veranstaltung von jemandem,
00:02:13: der direkt betroffen ist, der mit frischesten Hintergrundinformationen kommt
00:02:18: und ein deutsches Publikum erreicht.
00:02:21: Oder ein großes Publikum hier in Hamburg erreicht. Das finde ich sehr schön.
00:02:26: Wunderbar. Damit sich unsere Hörerinnen und Hörer vielleicht auch besser vorstellen
00:02:32: können, was das für Veranstaltungen sind.
00:02:33: Wir beide haben uns ja zuletzt, ich glaube, im Oktober gesehen,
00:02:36: Oktober 2024 in unserem Büro und da hatten wir eine Veranstaltung mit Amir Aman Kiaro aus Äthiopien.
00:02:45: Was ist denn aus ihm geworden? Also Amir Amman Kiyaro ist immer noch aktueller Stiftungsgast.
00:02:50: Er ist immer noch hier in Hamburg und arbeitet an einem sehr spannenden Projekt,
00:02:55: das er dann umsetzen möchte, wenn er dann im Mai zurückgeht.
00:02:59: Wir sind ja eine Stiftung, die Auszeitstipendien gibt und deswegen ist seine
00:03:06: Zeit auch begrenzt. Und er freut sich einfach an Schnee, auch hier in Hamburg.
00:03:12: Das ist für ihn ganz ungewöhnlich gewesen.
00:03:14: Er hat einen Aufenthaltsstatus zusammen mit seiner Familie, die ihm erlaubt,
00:03:17: zu reisen. Er war auch in der Schweiz und hat sich Berge angeguckt.
00:03:21: Also das ist ja auch die Idee des Kulturaustausches etwas anzugucken und
00:03:27: gleichzeitig aber auch Kraft und Mut zu schöpfen, um wieder zurückzugehen und
00:03:32: dort weiter für Demokratie und Freiheit zu arbeiten.
00:03:34: Und das macht er und wird machen. Wunderbar, vielen Dank. Da freue ich mich
00:03:38: natürlich erstmal zu hören, dass es an mir gut geht.
00:03:41: Dann lass uns doch noch einmal ein bisschen tiefer eintauchen in eure Stiftungsarbeit.
00:03:47: Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte gibt es, glaube ich,
00:03:51: schon relativ lange. Ich hatte vorhin gesagt, du bist Geschäftsführerin seit 1991
00:03:55: Wann und wie kam es denn zu dieser Stiftungsgründung? Die Stiftung gibt es tatsächlich
00:03:59: länger, als dass ich sie führe.
00:04:01: Sie gibt es seit 39 Jahren, also gegründet 1986.
00:04:06: Und sie wurde gegründet von dem damaligen ersten Bürgermeister Klaus
00:04:10: von Dohnanyi weil er gerne eine Stiftung wollte.
00:04:14: Die politisch Verfolgten hilft aufgrund seiner eigenen Biografie und er hat
00:04:20: dann in die Stiftungssatzung einen Präambel schreiben lassen,
00:04:23: in Gedenken an die Opfer des NS-Regimes und an denjenigen, die auch heute noch
00:04:29: sich für Demokratie und Freiheit einlassen und einsetzen und dafür verfolgt werden,
00:04:34: ein Auszeitstipendium zu schaffen.
00:04:36: Eine Zeit, um Kraft und Mut zu schöpfen, um die Arbeit im Heimatland wieder aufnehmen zu können.
00:04:42: Und so hat er dann die Stiftung gegründet und hat sich Partner gesucht.
00:04:48: Es ist ein einstimmiger Beschluss der Bürgerschaft auch gewesen.
00:04:52: Und nichtsdestotrotz ist diese Stiftung eine Privatstiftung,
00:04:55: also ist nicht eine Senatstiftung.
00:04:58: Und das ist auch sehr wichtig wegen der Unabhängigkeit.
00:05:02: Und was kann man noch zu der Stiftung sagen? Sie hat eine spezielle,
00:05:08: sehr besondere Zusammensetzung des Vorstandes, weil in der Stiftung,
00:05:14: in der Satzung steht jeweils der amtierende Bürgermeister, sein Vorsitzender sein.
00:05:19: Das hat den großen Vorteil, dass wir Zugang zum Auswärtigen Amt haben,
00:05:23: dass wir uns auch über den Bürgermeister Türen öffnen können,
00:05:27: wenn wir das brauchen, wenn wir das für die Stiftungsgäste brauchen,
00:05:30: die vielleicht im Gefängnis sitzen, die vielleicht nicht ausreisen können.
00:05:34: Das hat in der Vergangenheit doch sehr oft geholfen, diese Schiene.
00:05:37: Aber trotzdem sind wir NGO.
00:05:40: Da ist es ganz wichtig, dass wir privat sind.
00:05:45: Das heißt, das hat auch immer geklappt mit den letzten Bürgermeistern,
00:05:48: dass die den Vorsitz übernehmen wollten?
00:05:51: Die haben gar keine Chance, ob sie es übernehmen möchten oder nicht,
00:05:54: denn das steht in der Satzung.
00:05:56: Also wenn sie die Satzung ändern möchten und sagen, ich möchte aber das nicht
00:06:00: werden oder ich möchte das gar nicht annehmen, das Amt, dann müssen alle sieben
00:06:04: Vorstandsmitglieder zustimmen, dass die Satzung geändert wird und die Mehrheit bekommen sie nicht.
00:06:09: Weil wir sind froh, dass das so ist und sind über die Unterstützung der Stadt
00:06:15: Hamburg, sage ich jetzt mal, doch sehr froh, diese Stiftung zu haben.
00:06:21: Nun hast du schon gesagt, ihr seid eine private NGO und das ist auch sehr wichtig für eure Arbeit.
00:06:26: Dann frage ich ganz indiskret, wie finanziert sich denn so eine NGO?
00:06:30: Ja, die NGOs, die finanziert sich über Spenden maßgeblich, über Anträge.
00:06:37: Es gibt immer auch Förderstiftungen oder in Brüssel gibt es eine wunderbare
00:06:41: Plattform, die heißt Protect Defenders.
00:06:43: Da kann man sich bewerben und einen Fall vorstellen und sagen,
00:06:48: die möchten wir gerne einladen.
00:06:49: Das ist eine der Fördermöglichkeiten.
00:06:53: Aber auch Hamburg hat sich verantwortlich gezeigt und hat gesagt,
00:06:57: sie findet die Stiftung so gut, dass sie sie unterstützen möchte.
00:07:01: Sie sind stolz auf diese Stiftung und wir bekommen auch drei Stipendien.
00:07:07: Von der Stadt Hamburg inzwischen pro Jahr finanziert.
00:07:10: Was wunderbar ist, denn wir wollen ja bis zu fünf einladen können mit Familien
00:07:16: und insofern ist das schon mal von Anfang an, von Jahresbeginn an eine Finanzierung möglich,
00:07:23: dass drei gesichert, drei Stipendien sind gesichert.
00:07:26: Aber nichtsdestotrotz müssen wir weiter Gelder immer einwerben,
00:07:31: was natürlich nicht so ganz einfach ist. Das Thema ist schwer.
00:07:36: Ich finde eigentlich nicht, weil wenn man hört politisch Verfolgte,
00:07:40: denkt man irgendwie an die Beladenen.
00:07:43: Aber ich empfinde die ganz anders. Die Mutigen, die Menschenrechtsbotschafter,
00:07:48: das sind Leute, die sich engagiert haben schon vor 20 Jahren für eine Sache, die brennen.
00:07:55: Aber es gibt natürlich einige Berührungsängste manchmal bei Privatspendern,
00:08:00: die sagen, ach, haben sie nicht was mit Kindern oder Tieren oder den Stadtteil,
00:08:05: Kindergarten, das ist doch irgendwie unverdächtiger oder so.
00:08:07: Da muss ich ein bisschen erzählen von diesen tollen Leuten, die da kommen und
00:08:12: die eigentlich auch für unsere Demokratie kämpfen.
00:08:15: Und jetzt erst recht in unseren Zeiten, wenn jemand auftritt und erzählt,
00:08:20: wie es in seinem Land ist, können wir auch ein bisschen Rückschlüsse ziehen,
00:08:23: wie es werden kann in unserem, wenn immer mehr die pressefreier Demokratiewerte.
00:08:30: Vernachlässigt werden.
00:08:31: Also ich denke, dass unsere Leute sehr wichtig jetzt auch in unserem Raum sind,
00:08:36: weil sie auftreten und über ihre Erfahrungen sprechen.
00:08:41: Ist die Stiftung eine Hamburg-Gänsehe oder gibt es noch ähnliche Stiftungen, die du kennst?
00:08:46: Sie ist eine Hamburg-Gänsehe. Ich mag den Namen auch sehr gerne,
00:08:49: weil das beinhaltet irgendwas Kleines, Edles, Feines. Das ist sie auch.
00:08:53: Sie ist nicht groß und ich sagte ja auch anfangs, dass sie bis zu fünf einladen
00:08:57: möchte. Da denkt man ja, ja, Fünf.
00:08:59: Aber das ist wunderbar, alle fünf Stimmen pro Jahr zu retten,
00:09:03: ist was Besonderes. Gibt es noch andere?
00:09:05: Es gibt noch andere Organisationen, natürlich meine Kollegen.
00:09:10: Zum Beispiel Penn, Writers in Exile oder Reporter ohne Grenzen,
00:09:14: die haben auch Stipendien, sind aber gebunden an entweder Schriftsteller,
00:09:19: wie der Name natürlich sagt, oder Reporter ohne Grenzen, Journalisten, Medienschaffende.
00:09:23: Sie können nicht wie wir, und das ist der Unterschied, da sind wir einzigartig,
00:09:28: wir können unabhängig von Beruf und Ländern alle einladen.
00:09:32: Und da kommen dann von Bauernführer aus Kolumbien bis hin zu Künstlern,
00:09:39: Journalisten, Wissenschaftlern.
00:09:41: Also es ist offen, während andere Kollegen und Organisationen da eben nur für
00:09:48: ihre Klientel etwas tun können.
00:09:51: Es gibt in Leipzig auch noch ein wunderbares Programm.
00:09:55: Die sind sogar noch eingeschränkt auf Länderschwerpunkte, dass sie nur innerhalb
00:10:01: von EU und noch EU-assoziierte Länder einladen können.
00:10:05: Und insofern sind wir sehr, sehr offen und das ist einzigartig.
00:10:10: Du hast ja vorhin gesagt, bei der Gründung warst du noch nicht bei der Stiftung.
00:10:14: Aber kannst du dir erklären, warum die ausgerechnet in Hamburg gegründet wurde dann?
00:10:18: Das hat mit Klaus von Dohnanyi zu tun. Das war sein ganz persönliches Projekt.
00:10:22: Das war sein persönlicher Wunsch.
00:10:25: Aufgrund seiner Familiengeschichte, wir wissen ja, Hans von Dohnanyi war ein Widerstandskämpfer, sein Vater.
00:10:30: Und er ist noch kurz vor Kriegsende auf persönlichen Befehl von Hitler aufgehängt worden.
00:10:37: Also als Racheakt. Er hat lange im Gefängnis auch überleben können und das ist
00:10:43: natürlich ein großes Trauma dieser Familie auch und Klaas von Dohnanyi hat beschlossen,
00:10:48: Politiker zu werden und er hat gesagt, er möchte so eine Stiftung haben.
00:10:51: Er nennt nicht seinen Vater.
00:10:54: Wenn er gefragt wird, warum er diese Stiftung hat gegründet wollen oder gegründet hat.
00:11:00: Sagt er immer, er denkt an so Leute wie Robert Musil, der in der Schweiz manchmal
00:11:05: nicht mal mehr 20 Mark hatte, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.
00:11:11: Also die Armut von tollen Leuten, die ins Exil haben gehen müssen.
00:11:16: Und er möchte gerne solche Leute, die es ja heute genauso gibt wie Robert Musil,
00:11:21: ihnen einfach ein Auszeitstipendium, eine Möglichkeit eines Aufenthalts,
00:11:27: wo alles auch finanziert ist, wo es eine Wohnung gibt, wo es einen Lebensunterhalt
00:11:33: gibt, wo ein Mal Ruhe reinkommen kann und wo derjenige sich neu orientieren,
00:11:38: sortieren kann. Wie geht es weiter?
00:11:40: Welche Möglichkeiten habe ich? Oder sich einfach auch mal erholen kann von all denen.
00:11:46: Wir hatten viele Menschen, die natürlich einen Burnout hatten,
00:11:50: die vielleicht direkt aus dem Gefängniskern gefoltert worden sind,
00:11:54: die Depressionen hatten.
00:11:57: Und die haben sich dann hier erholen können in der Sicherheit.
00:12:01: Und was wir natürlich bitten können, ist erstmal auch ein Ort der Sicherheit.
00:12:04: Das ist auch ganz wichtig.
00:12:07: Vielen Dank, liebe Martina. Dann haben wir schon relativ viel über die Stiftung gelernt.
00:12:11: Ich würde mir jetzt erlauben, noch ein bisschen mehr über dich persönlich lernen zu wollen.
00:12:15: Und wir fangen an mit unserem beliebten Spiel. Friedrich fragt,
00:12:19: das Prinzip ist sehr einfach.
00:12:20: Es ist wie Kaffee oder Tee. Ich stelle dir also spontan eine Entweder-Oder-Frage,
00:12:25: die du auch bitte mit Entweder-Oder beantwortest.
00:12:28: Und wir legen mal los. Wir fangen an mit dem Hamburg-Klassiker.
00:12:32: Magst du lieber die Elbe oder lieber die Alster? Elbe.
00:12:36: Wenn du unterwegs bist, bist du eher an der Nord- oder an der Ostsee? Ostsee.
00:12:41: Wenn du Feierabend hast bei deinem Job, legst du dann die Füße hoch oder bist
00:12:46: noch aktiv? Ich bin noch aktiv.
00:12:48: Liest du eher Krimis oder eher Romane? Romane.
00:12:52: Wenn du nicht Geschäftsführerin der Stiftung geworden wärst oder jetzt nicht
00:12:56: wärst, wärst du dann stattdessen Krankenschwester geworden oder Lehrerin? Ornithologin.
00:13:03: Klassischer entweder oder. Dann machen wir noch zwei.
00:13:07: Wenn du unterwegs bist, wenn du sportlich unterwegs bist, ist das eher laufend
00:13:12: oder eher schwimmend? Schwimmend.
00:13:15: Wunderbar. Und wenn du dir eine andere Stadt außer Hamburg aussuchen könntest,
00:13:19: wäre das Flensburg oder München? Flensburg.
00:13:22: Wunderbar. Vielen Dank. Da haben wir schon ein bisschen über dich erfahren auf die Stelle.
00:13:27: Dann erzähl uns doch nochmal, wie kamst du denn eigentlich zur Stiftung?
00:13:31: Ich hatte es gesagt, Anfang der 90er bist du Geschäftsführerin geworden. Wie kam es dazu?
00:13:35: Ich habe studiert im Ausland in Frankreich und in Spanien, in Madrid.
00:13:42: Und ich habe besonders in Frankreich ein halbes Jahr an der Universität Rouen
00:13:47: studiert. Und dort habe ich Latinos kennengelernt, Chilenos.
00:13:52: Das war so eine typische Musikantengruppe auf der Straße. Ich fühlte mich nicht
00:13:57: so ganz wohl in Frankreich.
00:13:59: Ich kriegte nicht so den Anschluss.
00:14:01: Das war nicht so ganz einfach. Aber mit den Latinos war das so leicht.
00:14:04: Ich hatte ja auch die zweite Sprache, Spanisch.
00:14:07: Das war ja mein zweites Fach. und dann kam ich mit denen ins Gespräch und die haben mir,
00:14:11: besonders der Chileno hat mir erzählt, dass er im Widerstand gewesen ist und
00:14:16: wie er gefoltert worden ist und wie er jetzt als Flüchtling in Frankreich Asyl
00:14:21: bekommen hat und eben Musikant auch war und sich damit etwas zuverdient hatte
00:14:26: und da habe ich viele, viele lange.
00:14:30: Nachmittag und Abende zugehört und habe gedacht, ich will nicht nur Literatur
00:14:36: studieren, ich möchte was mit dieser Sprache auf Sinnvolles anfangen.
00:14:40: Und habe mir vorgenommen, wenn ich aus Frankreich zurückkomme an die Universität
00:14:44: Hamburg, dann möchte ich irgendwie
00:14:46: mich engagieren für politisch Verfolgte in Chile. Und so fing es an.
00:14:51: Also ich bin in einen Menschenrechtsverein gegangen für politisch Verfolgte
00:14:55: und Verschwundene, so hieß es, in Chile und habe da sehr lange übersetzt und
00:15:01: bin aufgetreten und habe das Komitee geführt.
00:15:06: Und bin auch sehr nah an die Geschichte gekommen, weil ich auch diejenige war,
00:15:11: die dann auch Folterzeugnisse übersetzt hat, was das ist eigentlich,
00:15:15: wenn man sehr jung ist und noch nicht so einen Abstand hat, sehr schwer war.
00:15:20: Ich bin teilweise dreimal um die Alster gelaufen, weil man diese Bilder gar nicht loskriegt.
00:15:24: Es war wichtig, dass man davon erfuhr, was passiert war, was Pinochet in den
00:15:31: Foltergefängnissen machte.
00:15:33: Und so mit dieser Arbeit bin ich aufgefallen dem damaligen Generalsekretär von
00:15:40: Amnesty International, das war Helmut Frenz.
00:15:43: Der war aber vorher Bischof, es war ein Kirchenmann, Bischof in Chile gewesen, als Deutscher.
00:15:49: Und der ist dann zurückgegangen, der wurde verbannt von Pinochet aufgrund seiner
00:15:54: Menschenrechtsarbeit in Chile und ich bin ihm aufgefallen und er sprach mich an und sagte,
00:15:59: wir haben da eine Stiftung und
00:16:01: die heißt Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte und wir haben keine.
00:16:06: Geschäftsführerin, wir wollen aber gerne Menschen einladen, die politisch verfolgt sind,
00:16:12: sei es Lateinamerika, Asien oder Afrika und ich beobachte dich schon länger
00:16:17: in deiner Arbeit, mit deinem Herzen, mit deinem Engagement, mit deiner Empathie.
00:16:23: Ich möchte, dass du die Stiftung führst. Und da war ich völlig überrascht und
00:16:27: habe gesagt, naja, ich bin ja noch jung, ich bin ja erst so 28.
00:16:32: Und er sagte, ich helfe dir, da reinzuwachsen, aber du bist die Richtige dafür,
00:16:37: um diese Stiftung weiterzubringen, aufzubauen.
00:16:41: Und so ist es auch gekommen. Also ich finde das immer ganz toll,
00:16:46: dass so im Leben gibt es immer irgendeinen, der einen führt oder dem man begegnet
00:16:50: und man bekommt irgendwie ein Angebot oder eine Chance.
00:16:54: Und dann hat man die Möglichkeit, man nimmt sie, man springt,
00:16:58: man probiert es aus oder man hat sie nicht wahrgenommen.
00:17:03: Aber es gibt, also ich bin jetzt nämlich auch diejenige, so ein bisschen wie
00:17:08: Helmut Frenz, dass die Stiftungsgäste ihnen irgendeinen Weg aufzeigt.
00:17:13: Guck mal, das würde noch gehen und da könnten wir uns noch engagieren.
00:17:17: Es sind sehr viele, die Stipendien bekommen haben, weitergekommen sind oder
00:17:21: irgendwie tolle Berufe, weil ich da mit begleitet habe. Also das mache ich weiterhin.
00:17:27: Also es ist mir ja auch so ergangen, dass mich einer an die Hand genommen hat.
00:17:32: Chancengeberin ist ein ziemlich schöner Beruf, würde ich sagen.
00:17:35: Lass uns nochmal kurz zurücklaufen. Du hast gesagt, du warst im Studium schon
00:17:40: viel international unterwegs.
00:17:42: War das ein frühes Interesse bei dir? Warst du schon immer jemand,
00:17:45: der so ein bisschen durch die Welt tingelte? Ja, das war ich wohl,
00:17:48: weil das hat mit meinen Genen zu tun, würde ich sagen.
00:17:51: Und da denke ich an meinen Vater, weil ich hatte einen wunderbaren Vater auf
00:17:57: eine wunderbare Mutter und der Vater war aber zur See gefahren in seiner Jugend.
00:18:02: Der kam aus einem ganz kleinen Dorf in Bayern und hatte immer die Sehnsucht
00:18:09: zum Meer und hat dann die ganze Welt bereist und das glaube ich, das hatte ich in mir.
00:18:15: Und ich hatte dann schon mit 17 Jahren, da war ich noch minderjährig,
00:18:18: zu ihm dann gleich gesagt, und jetzt fahre ich nach Paris.
00:18:22: Das möchte ich mir mal angucken. Da sagte mein Vater, nein, das kannst du gar
00:18:24: nicht, du bist ja minderjährig, du kannst nicht einfach losfahren und nach Paris,
00:18:28: da habe ich Angst um dich.
00:18:29: Aber ich habe es gemacht und mit 18 war ich dann in Ägypten und dann war ich
00:18:34: in Israel und so ging es immer weiter.
00:18:36: Indien und Zimbabwe, ich habe mir alles Mögliche angeguckt und ich denke,
00:18:39: dieses Fernweh und diese Erzählung,
00:18:42: die ich von ihm habe, wie schön diese Welt ist und wie toll andere Kulturen
00:18:48: und andere Länder sind, das habe ich von ihm und dann habe ich mir die Welt angeguckt.
00:18:53: Und jetzt habe ich sogar noch so einen Beruf, das kam ja erst viel später.
00:18:58: Dann erzähl uns doch mal, dann springen wir wieder zurück in die Jetzt-Zeit.
00:19:02: Ich habe mich so ein bisschen gefragt, du hast ja gesagt, ihr habt bis zu fünf
00:19:04: Stipendiaten und Stipendiatinnen jedes Jahr, die zum Teil mit Familie kommen.
00:19:09: Die kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern auf der Welt, die haben unterschiedliche
00:19:12: Berufe oder sind aktivistisch unterschiedlich unterwegs.
00:19:16: Wie kann denn da, wenn du einen hast, ein typischer Arbeitstag aussehen?
00:19:20: Ja, ein typischer Arbeitstag, der ist im Büro.
00:19:23: Und also chaotisch ist der auf jeden Fall immer. Ich komme ins Büro und habe
00:19:28: mir vorgenommen, das und das und das ist jetzt wichtig und das schreibe ich
00:19:32: und dann ist alles anders.
00:19:34: Ich komme da rein und dann ist wieder ein Notfall oder ein Anruf oder ich muss
00:19:37: die Prioritätenliste wieder anders sortieren. Das ist ganz normal.
00:19:42: Also diese Flexibilität muss man haben und Mut zur Mücke.
00:19:46: Also irgendetwas bleibt liegen, was dann den nächsten Tag angeguckt wird.
00:19:49: Und dann geht das wieder von vorn los.
00:19:50: Das, was man eigentlich abarbeiten wollte. Also es ist auch viel Administration.
00:19:56: So wunderschön es ist, wenn die Stiftungsgäste ankommen am Flughafen,
00:20:00: wo ich sie abholen kann und wir dann zusammenarbeiten und uns kennenlernen.
00:20:04: Und ich höre, die Welt kommt ja zu mir. Sie erzählen mir dann Äthiopien.
00:20:10: Darüber wusste ich nicht viel. Aber erst mal, bis sie dann kommen,
00:20:14: muss ich natürlich gucken, dass sie ein Einreisevisum bekommen. Das ist administrativ.
00:20:19: Also ich habe zu tun mit deutschen Botschaften, ich habe zu tun mit der Hamburger Ausländerbehörde,
00:20:25: Gut, das sind dann die Dinge, die Voraussetzungen sind für die Einladung und
00:20:31: wenn sie dann kommen, dann können wir in die inhaltliche Arbeit gehen und das ist immer sehr schön.
00:20:37: Und es ist auch nicht nur, dass es wichtig ist, dass sie auftreten oder dass
00:20:43: sie über sich sprechen oder etwas schreiben, sodass dann auch unsere Öffentlichkeit davon erfährt.
00:20:49: Es ist auch schön irgendwie zu sehen, wenn sie doch sehr vielleicht auch gedrückt
00:20:56: ankommen aufgrund dessen, was
00:20:57: sie erlebt haben und dann so in den nächsten Monaten langsam so aufblühen.
00:21:03: Also es gibt Sihem Bensedrine zum Beispiel, sagte mir, das ist eine tunesische
00:21:09: Journalistin, die im Übrigen im Moment im Gefängnis ist und im Hungerstreik.
00:21:14: Nach vielen, vielen Jahren, in denen sie wieder in Tunesien ist.
00:21:18: Und sie sagte aber, als sie in Hamburg war, war es so wunderschön,
00:21:21: durch den Park gehen zu können, ohne dass jemand hinter einem hinterherläuft
00:21:26: mit einem richtigen Mikrofon und alles, was man, oder überhaupt jemanden im Rücken zu haben.
00:21:31: Sie sagte, ich gehe und ich bin eine von vielen, ich bin eine Parkbesucherin
00:21:36: oder ein anderer, das war ein Tschetschene.
00:21:40: Da hatte ich mich verabredet, das ist eine Familie und habe gesagt,
00:21:43: ich komme um drei und als ich dann klingelte und aufmachte, war er noch im Schlafanzug
00:21:49: und da dachte ich so, oh Gott.
00:21:50: Da sagte ich, aber Gerichan, ich habe doch gesagt, ich komme um drei.
00:21:53: Sagt er, ja, Entschuldige, es ist so eine Freiheit, einen Schlafanzug anzuhaben.
00:21:58: Weißt du, dass ich drei Jahre lang immer in ganzer Montur geschlafen habe,
00:22:03: weil ich immer damit gerechnet habe, dass sie kommen und mich abholen.
00:22:06: Und da wollte ich wenigstens nicht im Schlafanzug sein, da wollte ich Stiefel
00:22:09: anhaben, da wollte ich eine Hose und ein Hemd anhaben.
00:22:12: Aber jetzt hier ist das so eine Freiheit.
00:22:14: Das sind so kleine Geschichten, die das vielleicht ein bisschen plastischer
00:22:18: machen, was es bedeutet.
00:22:19: Das ist nicht nur Sicherheit vor Anschlägen und Morddrohungen,
00:22:24: es ist manchmal auch im Kleinen, dass man sich entspannen kann,
00:22:27: dass man einfach mal ein normales Leben, was für uns so normal ist,
00:22:31: hier auch wieder leben kann.
00:22:34: Und dass man, viele Frauen hier haben auch schwimmen gelernt,
00:22:38: das ist nicht so üblich in vielen
00:22:41: Ländern oder Fahrradfahren und das ist irgendwie, hat viel Spaß gemacht.
00:22:46: Also dass es dem Leben auch wieder eine Nuance gibt, was auch alltäglich ist,
00:22:51: finde ich genauso wichtig wie die anderen Sachen, sich eben einsetzen für Demokratie und Freiheit.
00:22:56: Auch weiterhin mit den anderen Menschen natürlich im Heimatland verbunden zu sein.
00:23:01: Ja, das ist ja ein schönes Stichwort. Sich einsetzen für Demokratie und Freiheit
00:23:04: steht ja gar nicht im Gegensatz.
00:23:06: Das ist ja genau die Freiheit, die wir alle haben und die uns,
00:23:09: Gott sei Dank, jetzt Tag ein, Tag aus nicht unbedingt einfällt,
00:23:13: wenn wir darüber nachdenken, was Freiheit vielleicht bedeutet.
00:23:16: Da bist du natürlich sehr viel näher dran, wenn du mit vielen Menschen in Kontakt
00:23:19: bist, die das nicht haben.
00:23:22: Du hast gesagt, ihr nehmt bis zu fünf Menschen aktuell im Jahr auf.
00:23:26: Ich stelle mir das unglaublich schwierig vor, die auszuwählen.
00:23:29: Wie kommt ihr an eure Stipendiatin? Das ist auch richtig.
00:23:32: Das ist sehr, sehr schwer auszuwählen. Ich bin immer froh, sagen zu können,
00:23:36: ich habe kein Stimmrecht.
00:23:37: Das ist wunderbar, weil ich bin diejenige, die mit den Menschen in Kontakt ist
00:23:43: und die Bewerbung entgegennehme und nachfrage, wenn Fragen zu stellen sind.
00:23:48: Und insofern bin ich schon ganz nah dran und ich könnte überhaupt keine Entscheidung treffen.
00:23:53: Ich könnte nicht wählen. Ich würde sie ja alle nehmen.
00:23:56: Insofern ist es gut, dass es einen Vorstand gibt, einen siebenköpfigen Vorstand,
00:24:00: der sich einmal im Jahr zusammensetzt und sorgfältig die Bewerbungen liest und
00:24:08: daraus eine Auswahl treffen muss.
00:24:11: Und da wird diskutiert, letztes Mal mussten sie sogar nachsitzen,
00:24:15: weil sie konnten sich nicht einigen.
00:24:17: Also da ging es ihnen eigentlich ähnlich wie mir. Da gab es unterschiedliche Stimmen.
00:24:22: Und am Ende wurden Kriterien des Gefährdungsgrades oder gibt es noch eine andere
00:24:27: Organisation, die auch helfen könnte?
00:24:29: Oder gibt es jemanden, den wir weiterempfehlen oder eine weiterempfehlende Organisation?
00:24:35: Ich bekomme natürlich viel mehr Bewerbungen
00:24:40: Über das ganze Jahr, als wir aufnehmen können, das ist richtig,
00:24:44: das ist auch belastend, weil es sind so tolle Bewerbungen und vor allen Dingen
00:24:49: auch aus Afghanistan und Bangladesch, das sind so Länder,
00:24:55: die islamistisch, wo der Druck von Islamisten, Taliban oder auch in Bangladesch
00:25:00: sehr hoch ist und dort meinungsfrei sehr unterdrückt wird.
00:25:05: Und dann nicht aufnehmen zu können.
00:25:09: Also nur eine bestimmte Anzahl aufnehmen zu können, das ist sehr schwierig.
00:25:13: Und ich bin schon in dieser Zeit, in der ich dann das alles lese, sehr angespannt.
00:25:19: Und das Gute ist, dass ich einfach wahnsinnig gerne spazieren gehe.
00:25:24: Das ist mein Ausgleich dann. Ich gehe in die Natur und ich liebe Vögel.
00:25:30: Ich bin so eine Hobby-Vogelbeobachterin.
00:25:34: Und das entspannt mich oder ich gehe schwimmen, ich bin eine leidenschaftliche
00:25:38: Kraulerin, sodass man das ein bisschen abbaut und dann wieder neu guckt,
00:25:41: denn ich muss stark bleiben, damit ich für die anderen auch stark sein kann.
00:25:46: Und ich versuche dann auch ganz oft mit meinen Kollegen zu sehen,
00:25:50: ob ich nicht einen derjenigen, die wir nicht nehmen konnten,
00:25:54: vielleicht irgendwo anders als Anschluss oder als Anschlussstipendium oder ein
00:25:58: anderes Stipendium irgendwie weitererzählen kann.
00:26:01: Und Pen, Writers in Exil hat gut geklappt, wenn es Schriftsteller sind oder
00:26:06: Journalisten schreiben eine Zunft.
00:26:08: Wenn es Journalisten sind, gibt es auch paar Möglichkeiten.
00:26:12: Und insofern bleibt es aber trotzdem immer jedes Jahr neu zu einem Open Call, nennen wir das.
00:26:22: Wir können wieder einladen und dann spricht sich das auch sehr schnell um.
00:26:30: Du hast es vorhin Pen schon genannt und auch Reporter ohne Grenzen.
00:26:34: Ihr habt ja wahrscheinlich unheimlich viele andere Kooperationspartner.
00:26:37: Ich stelle mir so vor, dass du sehr gut vernetzt sein musst.
00:26:41: Was sind dann noch andere Partner, mit denen ihr arbeitet und wie genau?
00:26:44: Also wir arbeiten auch mit USA zusammen, da gibt es ja Committee to Protect
00:26:49: trans quest, da kommt zum Beispiel Amir her,
00:26:51: der in Äthiopier, er wurde von dieser Organisation uns vorgeschlagen und die
00:26:58: haben ihn auch sehr gut betreut und wir haben eine tolle Bewerbung bekommen.
00:27:02: Es gibt verschiedene Organisationen im Ausland.
00:27:06: Auch in Frankreich arbeite ich zusammen mit Organisationen.
00:27:11: Wir haben uns zusammengeschlossen und das ist das Gute über eine Brüsseler Plattform
00:27:16: und die nennt sich Protect Defenders.
00:27:19: Und da sind wir jetzt ungefähr 90 Organisationen weltweit, auch Lateinamerika ist da drin.
00:27:25: Kollegen und wir treffen uns einmal im Jahr und das organisiert dann Brüssel.
00:27:29: Also die Leute, das Team dort und dann treffen wir uns. Letztes Mal war es in
00:27:33: Berlin, aber oft auch in Brüssel selbst.
00:27:36: Und dann sind wir alle zusammen und dann kann man sich auch austauschen.
00:27:39: Wer hat welchen Kandidaten?
00:27:42: Wer braucht was? Und wo kann man noch beantragen?
00:27:46: Und das ist irgendwie, ich nenne das immer ein Familientreffen,
00:27:48: weil da muss man gar nicht so viel erzählen. Was mache ich eigentlich?
00:27:52: Was tue ich für Stiftungsgäste? Wie lade ich sie ein? Was sind unsere Schwierigkeiten?
00:27:56: Weil die anderen sind in dem gleichen Bereich und von daher sind wir da vernetzt.
00:28:01: Es gibt eine Mailinglist.
00:28:03: Also wenn ich irgendwie ein Problem habe, kann ich das reingeben und dann reift
00:28:06: 90 verschiedene Organisationen.
00:28:08: Und so bin ich auch ständig eigentlich im Kontakt.
00:28:12: Also ich mache sehr viel, wenn man, als du vorhin fragtest, wie sieht mein Alltag
00:28:17: aus, es ist auch viel, viel Korrespondenzpflege.
00:28:20: Also dass ich dann wieder einen anschreibe, ich habe jetzt den und den,
00:28:24: wollen wir nicht zusammenarbeiten dort, wollen wir nicht eine Veranstaltung zusammen machen.
00:28:29: Ich arbeite natürlich auch mit Hamburger Organisation zusammen,
00:28:33: Körperstiftung Friedrich-Ebert-Stiftung natürlich, um Veranstaltungen zu machen, Literaturhaus.
00:28:38: Die nächste Lesung wird im Literaturhaus stattfinden, damit es Auftritte gibt.
00:28:44: Also sehr, sehr nett und das nimmt auch viel Zeit in Anspruch,
00:28:49: macht aber auch viel Spaß.
00:28:51: Wie wählt ihr denn letztlich aus? Du hast schon gesagt, du machst es selbst
00:28:54: nicht, du nimmst diese zum Teil ja wirklich große Anzahl an Bewerbungen entgegen.
00:28:59: Aber was sind denn die harten Kriterien?
00:29:03: Dass sich jemand schon länger für Demokratie und Freiheit eingesetzt hat.
00:29:08: Also nicht jemand, der vielleicht irgendwie seit einem Jahr dabei ist,
00:29:11: sondern es ist eine Haltung, dass jemand im Land lebt und sagt,
00:29:18: Mensch, die Korruption,
00:29:20: die Ungerechtigkeit, die Armut oder die mangelnde Pressefreiheit,
00:29:24: das ist schon seit Jahren und das ist ein Kriterium.
00:29:29: Also da fallen leider viele Länder drunter, von Iran bis Russland und Co.
00:29:35: Es wird auch immer autokratischer.
00:29:37: Also viele Autokraten, wo es noch Möglichkeiten gab, die ziehen zu.
00:29:44: Also von Aserbaidschan bis Türkei, da wird immer mehr an der Pressefreiheit
00:29:50: und Demokratie eingeschränkt.
00:29:53: Also die Räume werden immer geringer.
00:29:55: Ein anderes Kriterium ist natürlich der Gefährdungsgrad. Also es gibt Unterschiede,
00:30:00: es gibt Repressionen, Verleumdungen, Kampagnen, es gibt auch Gefängnisaufenthalte.
00:30:05: Und wenn jemand gerade da rausgekommen ist, braucht er erst recht ein Jahr Erholung
00:30:10: oder erst mal Abstand von all dem, was passiert ist.
00:30:14: Das kann ein Kriterium sein. Ein drittes Kriterium kann das sein,
00:30:17: ist der ganz alleine auf sich gestellt oder sie?
00:30:20: Oder gibt es noch andere Kollegen wie Community Protect Defenders oder ICON,
00:30:25: die sitzen in Norwegen, in Stavanger, das heißt International Committee of Network Refuge.
00:30:33: Haben die auch schon von dem gehört, also wenn noch jemand Zweites ist,
00:30:37: kann man auch überlegen, ob
00:30:39: man nicht jemanden, der so im freien Fall noch ist. Aber letztendlich...
00:30:44: Ist das wirklich sehr schwer. Also Gott sei Dank haben wir keine Länderschwerpunkte.
00:30:49: Also jetzt haben wir zum zweiten Mal eine Türke ausgewählt.
00:30:54: Also es wird jetzt nicht geguckt, ach wollen wir mal irgendwie ein anderes exotisches
00:30:58: Land oder so, sondern es wird einfach tatsächlich nach der Bewerbung entschieden.
00:31:03: Und ja, der Vorstand muss sich da quälen und das tut er auch.
00:31:08: Ja, wenn der Vorstand sich quälen muss, ich bin sicher, du musst das manchmal
00:31:13: auch, Auch wenn du auf deine Berufskarriere jetzt bei der Stiftung schaust,
00:31:17: was hat dich denn besonders viel Nerven gekostet oder also eine konkrete Situation
00:31:21: oder dich vielleicht auch wirklich sehr belastet?
00:31:23: Belastet tun mich schon die Menschen, die Geschichten. Das sind ja auch keine
00:31:26: Fälle. Das sind ja richtig Personen.
00:31:29: Und es belastet mich, dass wir niemanden mehr aus Afghanistan einladen können.
00:31:33: Das hat mit der Bundesrepublik zu tun, weil es gibt keine Einreisevisa mehr.
00:31:38: Das ist gestoppt worden. Also als sich alle zurückzogen, das Militär zurückgezogen
00:31:43: hat, seitdem gibt es keine Einreise-Visa mehr.
00:31:46: Es gibt nur noch eine Liste, von der niemand so genau weiß, wer da draufsteht beim Auswärtigen Amt.
00:31:51: Aber ich bekomme sehr viele wunderbare Bewerbungen und das ist schon belastend,
00:31:57: wenn man hört von einer Schuldirektorin,
00:32:00: die ein Mädchengymnasium geleitet hat und die jetzt irgendwo sich versteckt
00:32:05: hält und auf der Liste der Taliban ist.
00:32:07: Dass so jemand würde man wahnsinnig gerne einladen können.
00:32:11: Oder Iran, die wunderbaren iranischen
00:32:14: Frauen, was die wirklich geschafft haben, auf die Straße zu gehen.
00:32:19: Das ist dann schon, dass man so demütig wird und dann auch an die Menschen denkt,
00:32:25: für die man dann nichts tun kann.
00:32:27: Aber im Rahmen dessen, was wir tun können, tun wir alles, tun unser Bestes und
00:32:34: wir haben ja auch tolle Leute, die dann auch eben ihr Leben retten können und Olivier es retten.
00:32:40: Und das wäre eine belastende Situation. Eine belastende Situation ist es manchmal
00:32:44: auch, wenn die Menschen, die hier bleiben müssen, dann die Idee des Stipendiums
00:32:50: ist ja, dass sie zurückkehren mit Kraft und Mut und mit guten Kontakten.
00:32:55: Ich versuche sie ja auch zu vernetzen in ihren Bereichen.
00:32:58: Wir wollen sie ja nicht von ihren Ländern weg abziehen, Sondern sie sollen ja
00:33:02: dort mit aller Kraft und Engagement wieder wirken.
00:33:06: Und wenn aber der eine oder andere nicht zurückgehen kann, weil für ihn das
00:33:11: bedeutet Gefängnis, im Iran bedeutet das für viele dann Gefängnis.
00:33:17: Dann sehe ich manchmal die Traurigkeit auch.
00:33:21: Es ist sehr schwer, hier Fuß zu fassen oder im Exil zu leben.
00:33:26: Selbst es ist gar nicht so, die, die hier geblieben sind, dass die nicht in
00:33:29: der Arbeit sind, sind sie die meisten.
00:33:31: Also die Künstler haben es noch am einfachsten, Journalisten haben es natürlich
00:33:35: nicht einfach, die schulen um auf soziale Berufe.
00:33:38: Sie sind schon eingebunden arbeitstechnisch, das ist es nicht,
00:33:42: sondern es ist einfach, etwas verloren zu haben.
00:33:45: Also im Exil zu leben, die Familie, die Freunde sind dort geblieben,
00:33:51: Schuldgefühle, ich bin jetzt in Sicherheit die anderen nicht.
00:33:54: Also das sind so Geschichten, die kommen so nah an mich ran und da ist dann,
00:33:59: ist nicht nervig, also es ist belastend. Und das war eine Doppelfrage,
00:34:04: was nervt oder was belastet.
00:34:06: Also das wäre eher der Part, wo ich so empathisch mitgehe und mir das vorstelle.
00:34:12: Weil ja auch meine Eltern, meine Mutter war Flüchtling.
00:34:16: Also ich kenne das von zu Hause aus Erzählung, was das bedeutet,
00:34:20: eine Heimat zu verlieren. Da, wo man geboren ist, ist ja Heimat.
00:34:24: Für mich ist Heimat Ostsee und oben in Flensburg natürlich.
00:34:27: Also da bin ich zu Hause, da kehre ich mich aus. Ich mag die Luft, ich mag die Skagen.
00:34:33: Und deswegen weiß ich, was das bedeutet. Also das wäre so, wo ich so mitlebe, mitgehe.
00:34:41: Wenn du bei all den Schicksalen, mit denen du konfrontiert warst und all den
00:34:46: Menschen, die du ja auch getroffen hast und treffen dürftest,
00:34:49: einen Moment aber rauspicken könntest, der besonders schön war,
00:34:52: würde dir da einer einfallen? Ja, sofort, ganz viele.
00:34:55: Aber einen, einen schönen. Ganz aktuell können die Hörer auch dann noch aktuell mitbekommen.
00:35:03: Also wir hatten ein belarussisches Autorenpaar eingeladen und der Alhierd Bacharevič
00:35:11: hat ein Buch geschrieben, das nennt sich Europas Hunde.
00:35:15: Das ist übersetzt worden und das hat jetzt einen Preis bekommen und zwar den
00:35:22: Leipziger Buchpreis, der in diesem Jahr im März, wenn die Leipziger Buchmesse wieder anfängt,
00:35:28: ist ja eine dieser wunderbaren Messen, wird er ausgezeichnet für den Friedens-
00:35:33: und Buchpreis Leipzig und zwar mit diesem Buch. weil er da etwas geschaffen hat.
00:35:40: Völkerverständigung, einen wunderbaren Krimi auch. Also das fand ich ein wunderbares
00:35:46: Highlight, dass wir haben jemanden eingeladen, der dann,
00:35:49: eben nicht in Belarus mehr leben kann, weil er sonst würde, er würde sofort
00:35:54: im Gefängnis sein und sein Buch ist auch verbrannt worden in Belarus und verboten
00:35:58: sowieso, aber hier wird er jetzt ausgezeichnet.
00:36:02: Ein zweites, muss ich doch noch schnell sagen, im Moment auch aktuell,
00:36:06: ich sag mal das aktuelle, Mohammad Rasulov ist Filmregisseur aus dem Iran und
00:36:11: er ist Oscar nominiert, sein Film natürlich.
00:36:15: Die Saat des heiligen Feigenbaums, ein wunderbarer Film über den Iran, ganz aktuell.
00:36:23: Und Mohammad war unser Gast mit seiner Familie.
00:36:27: Zwar nicht aktuell, denn er ist zurückgegangen und man kennt ja seine Geschichte,
00:36:32: dass er dann nochmal wieder flüchten musste. Aber seine Familie war immer hier.
00:36:36: Seine Tochter hat hier Abitur gemacht, studiert Medizin.
00:36:40: Also wir waren diejenigen, die ihm schon mal aufgrund seiner sehr kritischen
00:36:45: Filme, er hat nie aufgehört, immer anzuecken mit den Regimen und immer kritische Filme gedreht.
00:36:52: Obwohl er sagte, die sind gar nicht politisch, sondern sie sind gesellschaftliche Themen.
00:36:56: Und ja, das sind so zwei Highlights, würde ich sagen.
00:37:00: Jetzt haben wir ja schon rausgehört, es waren unglaublich viele Stipendiatinnen
00:37:04: und Stipendiaten, denen wir natürlich irgendwie gern allen noch eine Bühne bieten würden.
00:37:08: Das schaffen wir jetzt gar nicht in unserem Podcast.
00:37:11: Aber wie viele waren das denn eigentlich?
00:37:13: Oder wie viele hast du inzwischen schon betreut? Hast du das mal gezählt?
00:37:16: Ich habe das nie gezählt. aber ich würde sagen über 200.
00:37:20: Ich könnte die aufschreiben, ich habe sie auch alle in Erinnerung.
00:37:23: Also ich habe ja nur ein Bild, ich bin ja ein Jahr mit ihnen zusammen und ich
00:37:26: setze mich auch mit ihnen zusammen.
00:37:28: Es ist nicht so, dass ich verwalte, das kann ich gar nicht leiden.
00:37:32: Also es gibt auch kein 9 to 5, es gibt keine Bürozeiten in dem Sinne,
00:37:36: sondern ich treffe mich mit ihm zum Café, wir machen eine Hafenrundfahrt,
00:37:40: wir machen einen Spaziergang oder was auch immer und dann höre ich zu, da höre ich viel zu.
00:37:46: Und insofern habe ich zu jedem noch ein Bild.
00:37:50: Und wir haben es natürlich schon angeschnitten, aber was sind denn so meistens
00:37:55: die Gründe, warum für sie dieses Stipendium, du hast es gesagt,
00:37:58: das Stipendium ist dafür da, dass sie eine Auszeit bekommen und dass sie dann
00:38:02: mit frischer Kraft zurück in ihr Heimatland gehen.
00:38:05: Was sind denn meistens die Gründe, warum sie sich um dieses Stipendium bewerben
00:38:10: oder vorgeschlagen werden? Die Gründe sind tatsächlich politische Verfolgung.
00:38:14: Das sagt ja auch schon unser Name, Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte,
00:38:19: obwohl der Untertitel ist in der Stimmen für die Freiheit. Finde ich auch schön.
00:38:23: Sie haben etwas geleistet. Sie sind Journalisten und durch ihre Texte und kritischen
00:38:29: Texte ecken sie an mit der Regierung oder mit irgendwelchen anderen Gruppen.
00:38:34: Das können islamistische Gruppen sein, das kann aber auch Todesschwadronen sein,
00:38:38: in Lateinamerika sehr üblich.
00:38:40: Es können linke Gruppen sein, es können Kolumbien mit den Rebellengruppen lassen,
00:38:47: auch Freiheit und Meinungsfreiheit nicht zu.
00:38:50: Kuba ist völlig diktatorisch geworden.
00:38:53: Also sie ecken an mit ihren Texten, mit ihren Reden, mit ihrem Tun, mit ihrem Engagement.
00:39:01: Und das hat dann unterschiedliche Auswirkungen von Verhaftung oder im Untergrund
00:39:07: leben müssen oder den Beruf verlieren.
00:39:09: Es gibt ja auch verschiedene Möglichkeiten, jemanden auch kaputt zu machen.
00:39:13: Alle diejenigen, die wir einladen, haben so eine Geschichte, so einen Hintergrund.
00:39:19: Und dann verbringen sie ein Jahr in der Regel hier und du hast gesagt,
00:39:24: kommen oft mit ihrer Familie,
00:39:25: du hast schon gesagt, ihr macht auch sowas Einfaches, Schönes,
00:39:28: so ein Touristenprogramm tatsächlich auch und sie arbeiten hier, treten öffentlich auf.
00:39:34: Was sind da für Sie, ich sag mal, oder vielleicht ist es auch sehr unterschiedlich
00:39:38: bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten, also wollen viele eher einfach die
00:39:42: Ruhe nutzen zum Beispiel zu schreiben oder wollen viele vor allem hier in die
00:39:46: Stadtgesellschaft reinwirken beispielsweise?
00:39:48: Das kommt so ein bisschen auf den Beruf auf an.
00:39:51: Also wir haben zwei Schriftsteller im letzten Jahr eingeladen,
00:39:57: der Alhierd Bacharevič und der Yavuz Ekinci, einer Belarus,
00:40:01: der andere Türkei und die schrieben.
00:40:03: Das sind Romanciers, die saßen da wirklich. Wir haben natürlich auch schöne
00:40:08: Wohnungen ausgestattet mit immer einem Schreibtisch natürlich und da saßen sie
00:40:14: und schrieben und schrieben neue Werke.
00:40:18: Also Yavuz ist ganz glücklich, dass er seinen Roman, seinen nächsten Roman hier
00:40:22: in Hamburg geschrieben hat, hat er gesagt. Also der wird jetzt veröffentlich
00:40:26: auf Türkisch in der Türkei zuerst natürlich.
00:40:30: Und das ist so, andere wollen auch in die Gesellschaft reinwirken,
00:40:34: das stimmt. Also der Journalist aus Sri Lanka zum Beispiel.
00:40:38: Andere wollen, dass Europa, sag ich mal, im größeren Sinne, aber auch Deutschland
00:40:43: sensibilisiert wird für das Thema ihrer Länder.
00:40:48: Sie sagen auch oft, es ist eine der
00:40:51: typischen Fragen, was kann Europa oder Deutschland denn tun für ihr Land?
00:40:55: Es wird oft gefragt in Veranstaltungen und da kommt ganz viel.
00:40:58: Die sagen, das ist ganz wichtig, EU-Delegationen in unserem Land,
00:41:02: Äthiopien zum Beispiel.
00:41:04: Oder deutsche Botschaften, die auftreten und das auf dem Schirm haben, was bei uns läuft.
00:41:11: Das ist beides, das geht in beide Richtungen, glaube ich.
00:41:14: Dass die einen, die mehr so politisch engagiert sind, wollen dann mit Politikern
00:41:20: reden und die anderen im Kunstbereich wollen, gucken sich die Fotografie oder
00:41:25: die gehen ins Literaturhaus, suchen sich ihre Kollegen.
00:41:29: Also das vernetzt sich dann alles immer. Und es gab mal jemanden als Beispiel,
00:41:34: der war Fotograf aus Tschetschenien, konnte kein Englisch und sagte,
00:41:38: mein großer Traum ist einmal nach Afrika.
00:41:41: Aber das kann ich ja nicht. Wie soll ich das schaffen? Aus Tschetschenien kam
00:41:44: ich sowieso nie hin. Jetzt bin ich hier, kann kein Englisch.
00:41:48: Und wie soll ich da hingehen? Ich habe gesagt, Moment, habe ich dann gesagt.
00:41:52: Du bist Fotograf und vor dir war gerade ein Kulturjournalist aus Zimbabwe.
00:41:57: Da musst du eben nach Zimbabwe. Ich rufe den an, der ist zurückgegangen und
00:42:01: ich frage ihn, ob er dich empfangen kann in Harare und so war es.
00:42:05: Also der tschetschenische Fotograf fuhr nach Harare und Maxwell holte ihn ab.
00:42:12: Maxwell hatte wieder Freunde, die auch russisch konnten und dann hat er da wunderbare
00:42:17: Zeit verlebt, der tschetschenische Fotograf, weil Maxwell ihn auch mitnahm in sein Dorf.
00:42:22: Da konnte er ganz tolle Fotos machen und hat natürlich auch die Victoria Falls
00:42:27: fotografiert und kam völlig beseelt wieder und hat später, als sie zurückging
00:42:32: nach Korsnay, eine Ausstellung über afrikanisches Leben.
00:42:37: Und dann haben die beiden sich auch noch einen kleinen Witz erlaubt,
00:42:40: das ist alles viel zu lang, aber sie haben Maxwells Mutter eine Tscheschenischsprachige
00:42:45: Zeitung in die Hand gedrückt. Das hat er dann abfotografiert und den Scherz gemacht.
00:42:50: Wir haben sogar eine kleine Community an Tschetschenen da in Zimbabwe im Dorf
00:42:54: sowieso. Das war natürlich nur ein Spaß.
00:42:57: Und das hatte aber wahnsinnige Wellen dann geschlagen in Tschetschenien,
00:43:01: weil das ging ein bisschen mit Wahrheit und Nicht-Wahrheit durcheinander.
00:43:05: Dann kamen Politiker und sagten, oh, wir haben da tatsächlich eine kleine Community
00:43:09: in Afrika, bis sich das auflöst. Das hat der Fotograf natürlich schnell aufgelöst.
00:43:13: Aber diesen Spaß und das ist auch drin als Geschichte, dass ich sage,
00:43:20: was möchtest du hier machen? Und da gucken wir mal.
00:43:22: Dann kann es auch mal sein, dass es Tschetschenien nach Zimbabwe geht.
00:43:26: Und ich sage auch immer, viele sagen auch, Paris ist ein Traum oder Rom,
00:43:31: einmal Rom sind, sage ich ja, fahr hin.
00:43:33: Du hast jetzt eien Aufenthaltserlaubnis, du hast das Geld dazu durch das Stipendium, fahr hin.
00:43:38: Und in Rom kenne ich jemanden und ich kenne ja nicht jemanden in Paris,
00:43:41: hol dich erstmal ab und zeig dir was.
00:43:43: Also ich finde das wunderbar, dieser Kulturaustausch und Völkerverständigung.
00:43:48: Und Sihem Bensedrine zum Beispiel, die in Tunesien hat gesagt,
00:43:52: Hamburg ist meine zweite Stadt, meine zweite Heimatstadt. Ich habe so gute Erinnerungen
00:43:57: und ich habe mich so wohl gefühlt. Und das finde ich toll.
00:44:01: Das klingt so unglaublich schön. Und dann stelle ich mir natürlich den Moment
00:44:05: der Abreise besonders schwer vor.
00:44:07: Also nach dem Ablauf des Stipendiums wollen ja auch die Stipendiaten und Stipendiatinnen
00:44:13: zurück nach Hause, um dort weiterzuwirken.
00:44:16: Wie schwer fällt dir das und wie schwer fällt es auch meist den Stipendiatinnen?
00:44:21: Ich würde fast sagen, mir fällt es schwerer, weil ich so eine Beziehung aufgebaut
00:44:25: habe und wir irgendwie ein Jahr lang uns begleitet haben,
00:44:32: auch voneinander gelernt haben und dann bringe ich sie zum Flughafen und dann geht es nach Hause.
00:44:38: Aber viele freuen sich darauf.
00:44:40: Sie haben ja auch Familie, Großeltern, Freunde und Schwestern dort,
00:44:45: Brüder, die Sprache und sie haben ihre Aufgabe da.
00:44:49: Also hier ist das ja so ein bisschen, also nennt sich ja auch Auszeit.
00:44:54: Ist auch kein Flüchtlingsprogramm überhaupt nicht. Die sagen auch alle,
00:44:57: ich bin kein Flüchtling und ich bin auch nicht im Exil. Ich nehme eine Auszeit von allen.
00:45:02: Und ob es ihnen so schwer fällt, also ich kenne viele, die einfach auch wahnsinnig
00:45:06: gerne dann wieder zurückgegangen sind, weil sie eben auch sich neue Pläne gemacht
00:45:14: haben oder mit neuen Kontakten.
00:45:16: Sie sind auch verbunden mit den deutschen Botschaften, das arrangieren wir dann
00:45:20: auch, dass da auch vielleicht neue Projekte entstehen.
00:45:24: Also da ist etwas Neues entstanden. Das ist ja auch die Idee,
00:45:27: dass man irgendwie mal sich zurücklehnt und über den Tellerrand rausguckt.
00:45:33: Wenn man immer irgendwo in einen bestimmten Weg läuft, dann weiß man ja nicht von rechts und links.
00:45:41: Und hier ist nochmal den Horizont erweitern und da kommen ganz viele tolle Sachen auch bei raus.
00:45:46: Und ja, so traurig empfinde ich die gar nicht. Wir winken uns dann noch zu,
00:45:51: aber wir bleiben ja auch in Kontakt.
00:45:52: Ich habe unheimlich viel Kontakt noch zu den Menschen, die bei uns waren und
00:45:56: dann höre ich auch, was sie machen.
00:45:57: Und Yavuz Ekinci zum Beispiel, der jetzt seinen neuen Roman in Hamburg geschrieben
00:46:03: hat, der geht zurück nach Istanbul und hat mich eingeladen, ich soll ihn besuchen.
00:46:08: Das mache ich dann auch ganz gerne und wird da sein Publikum haben,
00:46:12: seine Lesungen und seine Aktivitäten.
00:46:15: Und wenn die Menschen zurückgehen, du hast gesagt, ihr verbindet sie auch zum
00:46:18: Beispiel mit der deutschen Botschaft vor Ort.
00:46:20: Sind die längerfristig geschützt durch eure Arbeit, durch ihren Aufenthalt hier?
00:46:26: Oder ist es eher gefährlich für sie, dass sie diese Auszeit genommen haben,
00:46:30: in Hamburg waren und offen darüber gesprochen haben, das und wie sie verfolgt wurden?
00:46:33: Bisher habe ich immer gern gesagt, dass das Stipendium schützt im Sinne von,
00:46:39: dass sie nach Europa eingeladen worden sind, nach Deutschland und dass so autoritäre
00:46:45: Staaten es eigentlich vermeiden, sich einen schlechten Ruf zu erarbeiten oder
00:46:49: mit Europa irgendwie anzuecken, indem sie dann denjenigen wieder irgendwo zusetzen.
00:46:54: Das hat auch ganz, ganz lange gestimmt.
00:46:56: Das sagt Amnesty International auch immer, gib ihm Namen, dann ist es öffentlich.
00:47:01: Und wir gehen ja öffentlich mit den Menschen vor.
00:47:07: Und insofern waren sie über all die Jahre doch geschützt.
00:47:11: Jetzt empfinde ich etwas anderes. Es wird zunehmend anders, autokratischer, respektloser.
00:47:19: Putin hat es vorgemacht. Ich mache, was ich will. Ich überfalle ein Land.
00:47:24: Andere fühlen sich ermutigt, auch gegen ihre Leute vorzugehen.
00:47:28: Und egal, was Europa sagt, Europa hat nicht mehr so dieses Gewicht, wie es das mal hatte.
00:47:35: Und ich wünschte mir, dass es wieder so wird.
00:47:38: Und insofern kann man sich nicht mehr so ganz sicher sein, wie groß der Schutz ist.
00:47:44: Es gibt, aber das wissen auch die Stiftungsgäste selbst am besten.
00:47:49: Es gibt eine Mexikanerin, die sich mit der Mafia angelegt hat in Mexico City
00:47:54: und auch mit Politikern, die mit der Mafia zusammengearbeitet haben.
00:47:58: Insofern war sie natürlich im Fokus und im Schussfeld.
00:48:02: Und sie sagte, wenn ich zurückgehe, werde ich erstmal nichts schreiben,
00:48:05: werde weder als Journalistin arbeiten, noch werde ich noch ein weiteres Buch schreiben.
00:48:10: Ich werde erstmal an der Universität Literatur unterrichten.
00:48:14: Ich werde erstmal Gras drüber wachsen lassen.
00:48:17: Also die können auch einschätzen, wie das ihre Gefährdung steht und wie weit
00:48:22: sie sich vorwagen können.
00:48:24: Also wenn jemand mir sagt, ich kann nicht sprechen, hier in Hamburg,
00:48:27: wunderbar, dass ihr mich eingeladen habt, aber ich kann nicht auftreten,
00:48:30: weil das bedeutet für meine Familie dieses oder jenes, das respektieren wir dann auch.
00:48:35: Also wünschenswert, wir wollen gerne, dass auch die Stiftung dann da mitgenannt
00:48:41: wird und dass sie auch etwas tun können.
00:48:42: Aber wenn jemand sagt, zum Beispiel ein Stiftungsgast aus Myanmar,
00:48:48: meine Kinder sind noch da oder es hat, das ist eine Militärjunta in Myanmar,
00:48:55: das hat dann unheimliche Auswirkungen.
00:48:57: Ich muss mich jetzt hier erstmal unter dem Radar bewegen, dann ist das auch
00:49:01: in Ordnung. Das ist selbstverständlich, dass wir das akzeptieren.
00:49:07: Dann hätte ich noch eine Abschlussfrage an dich und zwar machen wir ja am gegen
00:49:11: Ende der Podcast-Folge immer Friedrichs Flaschenpost beziehungsweise deine Flaschenpost
00:49:16: an die Zukunft und was ist deine Vision für eure Arbeit in sagen wir zehn Jahren?
00:49:21: Da wünschte ich mir natürlich, dass wir gar nicht mehr notwendig wären.
00:49:26: Es wäre ja viel schöner, wenn diese schöne Stiftung, die ja so viel Erfahrung
00:49:30: hat in Einladen und Vernetzen,
00:49:33: dass sie nicht mehr politisch verfolgte Künstler, politisch verfolgte Journalisten
00:49:38: oder Wissenschaftler einladen muss, sondern ohne dies politisch verfolgte,
00:49:41: dass es ein Kulturprogramm will.
00:49:43: Ein Kulturstipendium, was immer noch toll ist als Austausch,
00:49:48: als wir vernetzen uns als Länder, wir lernen voneinander, das wäre schön.
00:49:54: Aber ich glaube, ein bisschen.
00:49:56: Utopie, weil es wird wohl immer politische Verfolgung geben,
00:50:02: weil es gibt immer Menschen,
00:50:03: die andere runterdrücken und die komische Ideologien verfolgen und sich abgrenzen,
00:50:12: abschotten, reicher werden.
00:50:14: Aber es wäre mal eine Utopie, dass diese Stiftung erhalten bleibt,
00:50:19: aber die politische Verfolgung nicht mehr im Namen tragen muss,
00:50:23: sondern sich öffnet für was anderes.
00:50:26: Da drücke ich die Daumen und ansonsten hoffe ich, dass ihr auch in zehn Jahren
00:50:29: noch eure Arbeiten macht, auch für und besonders für die politisch Verfolgten,
00:50:33: wenn es die dann noch geben wird.
00:50:36: Damit sind wir leider schon am Ende unserer 84. Folge von Friedrichs Flaschenpost,
00:50:40: dem Politik-Podcast aus Norddeutschland von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
00:50:44: Ich danke euch, liebe Hörerinnen und Hörer und ich danke natürlich auch dir,
00:50:48: liebe Martina Bäurle Danke euch.
00:50:51: Ich freue mich, dass wir uns im Frühling, ich glaube, ein Datum haben wir noch
00:50:54: nicht, aber im Frühling sehen wir uns schon wieder zur nächsten gemeinsamen Veranstaltung.
00:50:58: Die werden wir dann auf unseren Webseiten auch publizieren für das interessierte Publikum.
00:51:02: Da werden wir uns wiedersehen mit einem interessanten Stipendiaten oder einer
00:51:07: interessanten Stipendiatin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.
00:51:11: Wir sprachen nämlich heute auch mit deren Geschäftsführerin Martina Bäurle.
00:51:15: Tschüss und bis zur nächsten Folge, sagt Christine Strotmann von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
00:51:20: Macht es gut und wie immer bleibt politisch.